Einfach, aber genial: Ein kleines, jedoch um so leistungsfähigeres Software-Programm soll künftig alle lästigen Störgeräusche aus GSM-Mobilfunknetzen automatisch herausfiltern. Übrig bleibt das saubere Übertragungssignal. Drastisch wird mit diesem simplen Trick die Kapazität der Netze gesteigert – bis zu 80 Prozent! Das Ergebnis: Deutlich bessere Sprachqualität, weniger Gesprächsabbrüche und höhere Geschwindigkeit bei der Übertragung von Daten. Gleichzeitig wird die erforderliche Sendeleistung reduziert. Ein Team aus vier Ingenieuren von der Universität Erlangen-Nürnberg hat die Software in jahrelanger Arbeit entwickelt und wurde dafür jetzt mit dem Vodafone Innovationspreis 2004 ausgezeichnet. Jürgen von Kuczkowski, Vorsitzender des Stiftungskuratoriums und Vorsitzender der Geschäftsführung von Vodafone Deutschland, ist begeistert: „Diese Erfindung bedeutet einen Quantensprung in der Mobilfunk-Technologie. Denn Kapazität ist eine äußerst knappe Ressource – und damit bares Geld wert.“
Störgeräusche, so genannte „Interferenzen“, treten in jedem Mobilfunknetz auf. Sie entstehen durch die Überlagerung von Funksignalen mit gleicher Frequenz immer dort, wo sich mehrere Funkzellen überschneiden. Insbesondere in Ballungszentren und Innenstädten ist dies ein permanentes Problem, gegen das bislang kein Kraut gewachsen war. Zwar sind die Folgen – Gesprächsabbrüche oder eine „zerhackte“ Sprachübertragung – für den Handy-Nutzer selbst nur selten spürbar. Den Netzbetreibern jedoch verursachen die Interferenzen enorme Kosten, denn bislang können nur zusätzliche Kapazitäten und die Erhöhung der Sendeleistungen die Verluste durch Störsignale ausgleichen und die hohe Qualität der Verbindung sicherstellen.
In Zukunft könnte das inzwischen patentierte Verfahren für „Single Antenna Interference Cancellation“ (SAIC) der Erlanger Forscher Raimund Meyer, Wolfgang Gerstacker, Robert Schober und Johannes Huber von jedem neuen Handy genutzt werden. Die erforderliche Software wird einfach in den Chip, der auch das Betriebssystem enthält, integriert. „Die Zusatzkosten dafür“, betont Meyer, einer der vier Experten für Nachrichtentechnik, „sind praktisch gleich Null.“ Und im Netz sind ohnehin keine weiteren Anpassungen nötig. Auf Basis eines komplizierten mathematischen Algorithmus unterscheidet dann das Handy innerhalb von Millisekunden, welche Teile des Signals die eigentlichen Informationen enthalten und welche überflüssige Störgeräusche sind und herausgefiltert werden können.
Die so freigesetzten Kapazitäten können in verschiedener Weise genutzt werden: Die Qualität der Netze kann verbessert werden, sowohl bei der Übertragung von Sprache (weniger Verzerrungen) als auch von Daten (höhere Geschwindigkeit). Auch können die Netzbetreiber durch die bessere Ausnutzung der Frequenzen mehr Gespräche gleichzeitig pro Funkzelle und Basisstation zulassen, wodurch sich die erforderlichen Technik-Investitionen bei weiterem Kundenwachstum reduzieren. Schließlich lassen sich auch die Sendeleistungen – und damit die Emissionen – von Handys und Basisstationen reduzieren.
Die spektakuläre Software funktioniert in allen Netzen auf Basis des weltweit verbreiteten GSM-Standards. Je nach Architektur des jeweiligen Netzes sind die positiven Effekte jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Im ungünstigsten Fall (bei so genannten „asynchronen“ Netzen) beträgt der Kapazitätsgewinn immerhin noch rund 20 Prozent. Die größten Reserven lassen sich in „vollsynchronen“ Netzen mobilisieren: Nicht weniger als 80 Prozent zusätzliche Kapazität wurden hier tatsächlich bereits gemessen – unter Praxisbedingungen mit einem Prototypen-Handy von Philips.
Damit ist das Potenzial der Erfindung längst nicht ausgereizt, denn es lässt sich bei einer der nächsten Mobilfunk-Generationen – bekannt unter den Bezeichnungen „2.5G“ oder „EDGE“ – einsetzen. Meyer und seine Partner gehen nämlich davon aus, dass sich in nicht allzu ferner Zukunft kleine, ins Handy integrierte Doppel-Antennen durchsetzen werden: „Simulationen zeigen, dass dann mit unserem Verfahren Kapazitätsgewinne von deutlich mehr als 100 Prozent möglich sind.“ In Verbindung mit anderen Verbesserungen wie dem Adaptive Multi Rate (AMR) Sprachcodex erwartet Meyer „sogar eine Verdreifachung der Sprachkapazität gegenüber der heutigen Situation“.
Zur weltweiten Vermarktung ihrer Entwicklung gründeten die vier Ingenieure die Firma Com-Research GmbH mit Sitz in Fürth und schlossen eine strategische Partnerschaft mit Philips. Bereits im Laufe dieses Jahres wird Philips Semiconductors einen Chip auf den Markt bringen, in dem das SAIC-Verfahren implementiert ist.
Vereinfachte Darstellung des neuen SAIC-Algorithmus
Dr.-Ing. Raimund Meyer (45)
studierte an der Universität Erlangen-Nürnberg Elektrotechnik. 1994 promovierte er mit Auszeichnung über das Thema „Zur Realisierung von digitalen Systemen mit Festkomma-Signalprozessoren“. Seit 1997 ist er als selbstständiger Berater im Bereich Mobilkommunikation/digitale Signalverarbeitung für verschiedene Firmen tätig, darunter Lucent Technologies, Philips Semiconductors und Agere Systems. Raimund Meyer ist Gründungsmitglied der Firma Com-Research und deren Geschäftsführender Gesellschafter.
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Prof. Dr.-Ing. Johannes Huber (52)
studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität München. Von 1977 bis 1982 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Nachrichtentechnik der Universität der Bundeswehr in München und promovierte dort mit einer Dissertation über Codierung für Kanäle mit Gedächtnis. Von 1982 bis 1991 war er akademischer Oberrat an der Universität der Bundeswehr in München und 1991 Gastwissenschaftler am IBM-Forschungslaboratorium in Zürich. Seit Herbst 1991 ist er Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg. Von 2001 bis 2004 war Huber Geschäftsführender Vorstand des Instituts für Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik der Universität Erlangen-Nürnberg. Zuvor war er Studiendekan der Technischen Fakultät und Vorsitzender der Studienkommission Elek-trotechnik, Elektronik und Informationstechnik. Derzeit leitet er das Laboratorium für Nachrichtentechnik der Technischen Fakultät und ist Beauftragter für die Ferienaka-demie Sarntal der Technischen Universität München, der Universität Erlangen-Nürnberg und der Universität Stuttgart. Ausserdem ist er Vertrauensdozent für die Bayerische Elite-Akademie sowie Gesellschafter von Com-Research. Prof. Huber ist seit 1994 Mitglied im Editorial Board des International Journal on Electronics and Communications (AEÜ) (von 1997 bis 2002 Editor-in-Chief). Von 1996 bis 1999 war er Associate Editor der IEEE Transactions on Communications.
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Dr.-Ing. Wolfgang Gerstacker (37)
studierte an der Universität Erlangen-Nürnberg studierte an der Universität Erlangen-Nürnberg Elektrotechnik und promovierte 1998 mit einer Dissertation zum Thema "Entzerrverfahren für die schnelle digitale Übertragung über symmetrische Leitungen". Davor und danach war er als wissenschaftlicher Assistent bzw. Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg tätig. 1999/2000 absolvierte er ein Postdoktorandenstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der University of Canterbury, Christchurch, Neuseeland. Als Berater arbeitete er für Firmen im Bereich Mobilkommunikation. 2004 habilitierte er an der Universität Erlangen-Nürnberg und ist dort derzeit als Dozent und Forscher tätig. Zudem ist er Gesellschafter von Com-Research sowie Lehrbeauftragter an der Universität Kiel. Seine wissenschaftlichen Leistungen wurden u.a. 2001 mit dem Literaturpreis der Informationstechnischen Gesellschaft (ITG) des VDE ausgezeichnet.
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Dr.-Ing. Robert Schober (32)
studierte Nachrichten- und Elektrotechnik zunächst an der Georg-Simon-Ohm Fachhochschule Nürnberg und später an der Universität Erlangen-Nürnberg. Zwischen 1997 und 2000 folgte die Promotion. Danach führte ihn ein Postdoktoranten-Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an die Universität Toronto, Kanada. Seit Mai 2002 ist er Assistant Professor an der Uni-versität von British Columbia. Dort bekam er im Oktober 2002 von der kanadischen Regierung ein Canada Research Chair (CRC) für drahtlose Übertragungen zuge-sprochen. Für seine wissenschaftlichen Leistungen erhielt Robert Schober u.a. den Literaturpreis 2001 der Informationstechnischen Gesellschaft (ITG) und den Heinz Maier-Leibnitz Preis 2002 der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seit April 2003 ist er Associate Editor der Fachzeitschrift „IEEE Transaction on Communications“. Robert Schober ist Gründungsmitglied von Com-Research und für die Firma als Berater tätig.
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